Projekt Beschreibung

Mo. 21.07.2003, Tag 8 – Der Fluch des Flüela

Zu Berge Gass zieht vallera

Ich hatte mit Gassi vereinbart, dass wir uns um 8.00 auf seiner Übernachtungshütte treffen. Mehr oder weniger munter sahen wir uns mit einem Austieg auf eine vielversprechend aussehende Startkuppe in etwa 2700m konfrontiert. Das bedeutete für uns noch ca. 800m Höhendifferenz, die es bei zunehmender Sonneneinstrahlung zu bezwingen galt – lediglich durch ein paar Cirren abgeschwächt. Cirren – normalerweise Vorboten einer Kaltfront, „die aber wahrscheinlich noch lang, lang auf sich warten lässt“. Entlang des gesamten hochalpinen Aufstieges frischte der – noch thermich bedingte – Talwind zusehends auf und wir waren überzeugt, heute mal etwas Glück mir der Wahl des Startberges zu haben. Während dieses Marsches durch Geröllfelder und diverses Alpingesträuch, erreichte uns die Mitteilung der Race Control, dass heftige Gewitter mit Schauern und starken, böigen Winden erwartet werden. „Das gilt sicher für die viel weiter westlich liegenden Piloten…“ – und wie falsch man doch liegen kann, wenn man einen Tag lang keinen Internetzugang, zwecks künftigem „Wetter-Lokalaugenschein“ zur Verfügung hat…

In 2400m Höhe erlaubte der unregelmässige Grat des FlüelaWiss- und Gorihorns bereits einen Blick Richtung Westen – und was war dort zu sehen? Das volle Programm, das eine Kaltfront so mit sich bringt: CBs, Lentis und: ne Menge fetter schwarzer Strati, die nur darauf warteten, sich in nächster Zeit über uns zu ergießen. Irgendjemand da oben meint es wohl wirklich nicht gut mit uns – wahrscheinlich war das eigens mitgebrachte Weihwasser schon abgelaufen…

Das insgesamt dritte Mal nun schon Flugbedingungen, die absolut am Limit waren. Ich hatte Gassi die Entscheidung über Flug oder Talmarsch wie immer freigestellt und ihm nochmal versichert, dass es für mich kein Problem sei, so wie wir hochkamen, auch wieder runter zu WANDERN.

Der Fliegerstolz in Gassi ließ ihn die Wetterentwicklung nochmal genau auf Fliegbarkeit prüfen. Ins Tal wollte er wenn irgendmöglich nicht per pedes – dann schon lieber einfach wieder neben der Hütte landen…

Um 11.15 Uhr dann die Entscheidung: „Ich probiers! Do vurn gfoits ma guat… do werd i’s probieren – etwas aufsoaren und zumindest bis zum Pass raufkommen is angsagt – und heil oben landen…“

Auf der Geröllwiese noch den bestmöglichen Startfleck gesucht, extrem klein ausgelegt (extrem viele scharfkantige Geröllspitzen lauerten nur auf ihre Chance, Segel und Leinen zu zerschneiden), in profihafter Manier verkehrt aufgezogen und raus in die Alpenluft. Mit leichtem Sinken gings Richtung Champatsch, der schöne – das hiess für heute: noch nicht abgeschliffene – Cumuli himmelwärts schickte. Am Einstieg noch etwas aufgesoart und dann entschwand mein Athlet hinterm Grat. Ein mulmiges Gefühl in der Magengegend machte sich schon breit, als ich Gassi mitten auf die inzwischen den gesamten westlichen Horizont einnehmende Schlechtwetterfront zufliegen sah. Gassi gestand später, dass es ihm nicht anders ging…

Für mich hieß es jetzt schnellstmöglich ab in’s Tal – denn wenn der Aufstieg schon über zwei Stunden dauerte, würde der Weg Richtung Auto mindestens eine Stunde in Anspruch nehmen -> also im Laufschritt bergab! Etwaige Knieoperationen als Spätfolge durch den Berg(ab)lauf würden ja sicher aus den Rücklagen unseres XAlps-Topfes bezahlt werden 😉

Das Auto gerade erreicht, als heftiger Platzregen einsetzte – so einer macht dich innerhalb von einer Minute nass bis auf die Unterhose – wenn man eine anhätte… *hehe*

Gerade mal im Auto aklimatisiert, als mich der erleichternde Anruf von Gassi erreichte: er konnte gerade noch vor Durchgreifen der böigen Frontwinde neben einem See einlanden und den Schirm noch schnell zusammenraffen. Beim Weg in die gegenüberliegende Bergrestauration bekam er noch den ersten heftigen Guss zu spüren. Die Wirtin erklärte sich bereit extra für uns die MeteoSwiss-Startseite auszudrucken. Während wir bei einem gemütlichen Bier die Schweizer Reliefkarten und Wetterprognosen studierten, öffnete sich ein kleines Sonnenfenster – ein Lichtblick? Na mal abwarten…

Ich hab dann endlich geschafft, mit meinem Handy via Infrarot-Schnittstelle ins Web zu kommen – eine solche Fehlplanung sollte uns nie wieder passieren! (welche Planung eigentlich?). Als wir die prognostiziete Ankunftszeit von Käschpi für Mittwoch Abend im Netz sahen, bestellten wir uns gleich noch mal ein Fliegerbier: „Sollten wir einen Fuß nach Frankreich setzen, geschweige denn überhaupt Verbier vor seiner Zielankunft erreichen können?“ Mit der ausgedehnten Kaltfront vor uns wahrscheinlich nicht. Egal nicht weiter drüber nachdenken – unser Rennen machen!

Mittlerweile war es am gesamten Flüelapass weitgehend sonnig und die Straße schon wieder aufgetrocknet. wieder "on the Roas"Gassi hat sich mit dem XAlps-Equipment gesattelt und auf den Weg Richtung Davos gemacht – aber nicht um dort runter zu wandern. Das wäre für den Anhänger des Vol Libre mehr als frevelhaft. Noch 2km zur nächsten vielversprechend aussehenden Startmöglichkeit. Die Rechnung 10km nach Davos mit nur 800m Höhendifferenz zu fliegen konnte ohnehin nicht aufgehen – bei Normalbedingungen…

Doch der unterstützende Rückenwind und ein etwas erhöhter Startplatz könnten das Vorhaben „Davos im Gleitflug“ durchaus real werden lassen. Von einem etwas vorgelagerten Parkplatz sah ich, wie sich der Himmel über dem Flüelapass immer mehr verdunkelte – „des kann ja net sein…“. Das Sichtfeld war durch den NS-verlaufenden Grat wieder sehr eingeschränkt, sodass man keinen Gesamtüberblick über die lokale Wetterentwicklung bekommen konnte.

Ich dem Moment sah ich Gassi in halber Grathöhe den Gebirgszug entlangfliegen, entspannt auf dem Ost-Rückenwind sitzend. Doch was war das? Am letzten Talknick, den man mit freiem Auge sah schob sich eine Wolkenfront ziemlich schnell in die Höhe, einer Mauer gleich. (auf Video – ein Wahnsinn!)

Gassi schilderte die Eindrücke wie folgt: „Der anschiebende Ost verlor in kürzester Zeit gegenüber den lokalen Gewitterwinden die Oberhand. Ich querte noch das Tal, um auf dem Parkplatz der Pischa-Bahn gegen den Frontwind einzulanden. Den Schirm schnell noch irgedwie zusammengewurschtelt und dann setzte erneut heftiger, extrem böiger Wind mit entsprechenden Regengüssen ein.“

Glück im Unglück – die Zweite!

Nach diesen zwei mal am Limit getimten Landungen war mal relaxen und abwarten im Teambus angesagt. Würde es nochmal per Schirm, oder doch endgültig zu Fuß nach Davos gehen? Gegen 18.15 Uhr begann Athlet AUT I den Fußmarsch nach Davos, der um 20.00 Uhr im viersterne Turmhotel Victoria endete. Das sehr zuvorkommende Team zeigte sofort Verständnis für unsere Strapazen und gestatte uns, ihre Fitness-Räumlichkeiten zwecks Körperhygiene zu nutzen. Danach noch auf ne Ladung Kohlenhydrate zum Italiener und das wars…

Zwischenklassement – Tag 8:

(Danke an Martin Lammer, der täglich die Stände für uns protokolliert!)

Platz
Name
Tagesleistung (km)
Gesamtleistung (km)
1
04 CH 1 Henny
29 561
2
05 CH 2 Lötscher
33 522
3
06 FRA Dagault
52 490
4
07 GER 1 Bocks
46 474
5
09 GER 3 Herfurth
35 442
6
17 USA / CAN Gadd
33 441
7
14 SLO Rozic
33 424
8
08 GER 2 Friedrich
34 389
9
12 POL Ziolkowski
30 373
10
10 ITA Frötscher
13 367
11
02 AUT 2 Holzmüller
6 347
12
13 RUM Coconea
18 342
13
15 TUR Buhara
20 324
14
11 MEX Carsolo
16 299
15
01 AUT 1 Gassner
14 291
16
03 BUL Vasilev
24 217
17
16 UK Shaw
11 167