Projekt Beschreibung
Fr. 25.07.2003, Tag 12 – 72 km in 5 Etappen
Genächtigt auf dem einzigen Parkplatz vor Schlans, bot sich uns um 6.00 Uhr ein kitschig-schöner Anblick des Rhein-Tales und der unter uns liegenden Bodennebeldecke: In 1200m lagen wir etwa 400m über dessen scharfkantiger Obergrenze, die vom Morgenrot in allen Gelb bis Rot-Schattierungen eindrucksvoll in Szene gesetzt wurde. Doch über der sich behebig gegen Osten dahinwälzenden Suppe war nur noch geringe Bewölkung (durch die Restfeuchte vom Vortag) auszumachen! Diese würde sich innerhalb der vormittäglichen Sonnenstunden sicherlich ausheizen…
Sollte die gestrige endgültige Entsorgung des vermeintlich abgelaufenen Weihwassers doch den Knopf in unserem Rennverlauf gelöst haben. Die Vorzeichen für einen Flugtag heute schienen zumindest gut.
Gassi machte sich gegen 7.30 Uhr auf den Weg, um die gut 700 Höhenmeter auf die Alp da Schlans in Angriff zu nehmen. Ich löste noch eine Auffahrtsgenehmigung beim Gemeindehäuptling dieses 100-Seelen-Örtchens und fuhr mit dem Bus die Forststraße hoch, wo ich Gassi bei etwa 2/3 der Strecke erwartete. Etwas geschafft, aber dennoch höchst motiviert traf Gass an unserem Rendez-vous-Punkt ein und wir diskutierten kurz über die Startmöglichkeiten weiter oben. Die „grüane Alp“, wie der Forstinspektor mir zuvor bei der Kontrolle meiner Fahrbewilligung erzählt hatte, sei ein guter Startplatz für Gleitschirme. Das sahen auch wir so und erkoren diesen Grünhügel in mitten der gerölldurchzogenen Wiesen zu unserem Startplatz.
Die letzten Höhenmeter zum Startareal ließen unsere Wettereinschätzung noch mehr in Richtung „Streckenflugtag“ tendieren, da die uns in den Rücken blasenden thermischen Ablösungen an Stärke und Häufigkeit zunahmen – mittlerweile war es ja auch schon halb Zwölf. Die Bedingungen waren wirklich Balsam auf die geschundene Fliegerseele, die wahrlich nicht zum Langstreckengehen gemacht war…
Wir wollten am Start nicht viel Zeit verlieren, da der W-Wind die entstehende Thermik ab dem Grat Richtung Ost verblies und uns erneut (wie in Davos) die Sonne zu verdunkeln drohte. Also hat Gassi etwas kürzer als sonst gerastet und sich auf den bevorstehenden Flug mental eingestellt. Während ich sein Equipment startklar machte, prägte er sich auf dem von mir mit hoch geschleppten Laptop die Flugroute in 3D nochmal ein. Die aufziehenden Cirren schirmten die Sonnenintensität merklich ab, zogen aber relativ schnell weiter.
Und schon wieder die haarige Entscheidung: „Früher Start und Absaufer riskieren“ vs. „Warten auf bessere Thermik und dadurch vielleicht die Abschatung des Startareals in Kauf nehmen müssen“.
Wir entschieden uns für Variante I und um 12.00 Uhr nutzte Gassi die nächstbeste Ablösung, schwang sich in die dritte Dimension und suchte den Hang nach dem besten Aufwind ab. „Wenn’s nicht gleich geht, land i unten wieder ein!“. Einen Kapitalabsaufer galt es heute auf alle Fälle zu vermeiden, da dies wahrscheinlich der letzte Flugtag für uns in diesem Bewerb sein würde – Käschpi stand ja praktisch schon vor dem Ziel (nur noch 35km).
Durch den frühen Start ging’s nicht so spektakulär hoch. Mit gemächlichen Steigwerten zwischen 0,5 und 2 m/s hob’s Richtung Basis, die mit etwa 2500m auch noch sehr tief war. Zwar gutes Flugwetter für Genussflieger, aber für die vor uns liegende Strecke Richtung Brig mit den dazwischenliegenden Pässen Oberalp, Furka und Grimsel schon wieder eine gewaltige Herausforderung, wenn nicht sogar unlösbare Aufgabe. An diesen tückischen Gletscher-Windsystemen sind schon einige Athleten vor uns gescheitert. Darum braucht’s Höhe, viel Höhe.
Knapp 30 Minuten kurbelte mein Teamkamerad auf den zwei Startbergen ein Bärtchen nach dem anderen („Trotzdem hundert mal besser als gehen!“), bevor er hinter dem Piz Ner (2859m) endgültig aus meinem Blickfeld verschwand. Durch die lange Flugzeit und die fast geostationäre Position konnte ich wenigstens tolles Filmmaterial aufnehmen *think positive*. Der Startzeitpunkt war ebenfalls gut getimed, da die sich verdichtenden Cirren die Aufwinde immer schwächer werden ließen. Die Luft war um 13.00 so stumpf, dass sich kein Grashalm mehr durch bergwärtige Krümmung dem Aufwind ergab.
Bei unserem daheimgebliebenen „X-Alps-Korrespondenten“ Martin Lammer holte ich Infos über die aktuelle Position meines Piloten und des Mexikaners Carlos ein, der bald in unsere Schlagdistanz kommen müsste. Waren wir heute morgen noch knapp 40 km hinter ihm, so hatte Gassi ihn offensichtlich „im Flug“ schon überholt: Wir waren 1 km voraus – Stand 15.00. WOW! Gassi war bereits kurz vor dem Furka-Pass, wo ich ihn dann gegen 15.45 Uhr wieder zu Gesicht bekam.
Obwohl ich exakt der Straßenführung über Oberalp und Furka gefolgt bin, hatte ich keinen wandernden Carlos Carsolio entdeckt – dessen genaue Routenführung wird noch interessant sein. Egal. Wir waren vorn. Als ich ihm diese freudige Mitteilung machte und ihn weiters darüber informierte, dass wir bis dato die beste Streckenflugleistung des Tages hätten, kam es verzerrt aus dem Funk: „I soar grod in Furka auf- oba es schaut net guat aus…“.
Ich brachte mich in einer Einfahrt in Position und verfolgte das Spektakel durch meine Sony-Linse. Die schnellen Schirmbewegungen deuteten auf markante Passwinde hin, die glücklicherweise in Richtung W verliefen. Kratzmeister Gass‘ packte es dann doch: teilweise nur wenige Meter über der Straße und schon eher mit dem Stabilo im Gras als in der Luft (zum Gaudium des fahrenden Volkes, das laut Gassi fleissig applaudierte, filmte und fotografierte) schaffte er es noch auf einer Wiese in Gratnähe einzulanden.
10 Minuten später war ich bei meinem Tages-Hero und hochmotiviert meinte er: „Jetzt is es Viere. Der Tag is no lang net vorbei!“
Er schnappte sich noch schnell Banane, Müsliriegel und Magnesium-Drink und wanderte behende weiter Richtung Passhöhe. „Noch 3.6 km Luftlinie. Wenig Höhendifferenz. Bei der Straßenführung sicher knapp das Doppelte – könnte sich eigentlich in gut einer Stunde ausgehen…“, sprach’s, schulterte sein Equipment und nahm die Füße in die Hand zur nächsten Startgelegenheit Richtung West.
Ich kundschaftete derweil die Startmöglichkeiten weiter westlich der Passhöhe aus und wurde an einem Westhang oberhalb der Straße fündig. Die Brise stand auch hier anständig vom Tal rauf (diesmal offensichtlich der Grimsel-Gletscherwind, den es nach O hochdrückte), was ich auch Gassi via Funk kundtat. Um 17.30 Uhr hatte mich Gassi dann eingeholt und machte sich nach kurzer Rast an dem von mir vorgeschlagenen Hang startklar. Windverhältnisse wie auf Teneriffa sollten zumindest etwas Höhengewinn zulassen, bevor man die Querung nach Süd zum immer noch Cumuli fabrizierenden Gebirgszug der Muttenhörner in Angriff nehmen könnte. Startzeit: kurz vor 18.00 Uhr. Gassi flog einige Meter entlang der Passstraße und querte dann mit kaum mehr als Startplatzhöhe (etwa 2400m) zur Westflanke des Bidmer. Starkes Saufen über dem Tal und tiefes böiges Aufsoaren in den Gletscherwinden danach machten den Aufstieg aus dem Talkessel wahrlich nicht zum Kinderspiel. Doch wie so oft im Fliegerleben: Je höher desto angenehmer – oder besser: weniger brutal – die Luftverhältnisse.
So konnte Gassi vorbei an Tällistock, Muttenhörner, Saashörner das Rhone-Tal bis nach Münster abgleiten. Durch Gletscherwindunterstützung ging’s mit bis zu 65 km/h entlang der jungen Rhone. Bei der Landung nördlich des Flusses musste Gassi leider noch die „CTR eines Modellflugplatzes“ *g* verletzen, doch die Jungs hinter den Fernsteuerungen zeigten großes Verständnis für die Notlandesituation in ihrem Revier.
Da die Wetterprognosen noch Hoffnung auf einen eventuellen zweiten Flugtag morgen gaben, beschlossen wir, dass Gass noch Meter Rhone-abwärts machen sollte. In unserer schweizer VFR-Karte war nämlich ein Startplatz unterhalb des Risihorns (2876m) eingezeichnet, der Startmöglichkeiten von Ost bis West zu bieten schien. So marschierte Gassi an diesem Abend noch bis Blitzingen. Gesamte Tageskilometerleistung: 72! 3 x Marsch und 2 x Flug – aber „der Flug hat allein fliegerisch und optisch für die Strapazen der letzten Tage mehr als entschädigt“.
Bei der Körperhygiene auf einem Campingplatz in Ritzingen wurde ich per Flyer auf den lokalen Tandem-Piloten Xandi Furrer aufmerksam, der sich absolut begeistert über die gebotenen Leistungen der Athleten zeigte, „egal ob Spitzen- oder Hinterfeld“. Von ihm erhielten wir wertvolle Infos über das Fiescher Fluggebiet und die Erreichbarkeit unseres möglichen Startplatzes. „Die Prognosen für morgen seien nicht so schlecht“, so Xandi.
Time to bed: 23.00
Noch ne kleine Anekdote: Bei der Frage, ob ich unser Equipment bei einem Blitzinger-Dorfbewohner über Nacht aufladen dürfte, meinte dieser: „En klen Momant. I komm gli widr“. Kam nach einer Minute und fragte: „I hab nur zwi Franka. Is’sch’s guat?“ Hat der Typ doch tatsächlich geglaubt, ich käme um Geld für den Red Bull XAlps betteln…
Sieht man nach 12 Tagen Wettkampf und einer Woche Nicht-Rasiert-Seins so heruntergekommen aus, dass man trotz hochdeutsch vorgetragenem Red Bull-Sprücherl schon für ein Opfer des Sozialsystems gehalten wird? So sans, die Schweizer: hilfsbereit und gute Flieger – zu gute… 😉
Zwischenklassement – Tag 12:
Platz
|
Name
|
Tagesleistung (km)
|
Gesamtleistung (km)
|
1 |
04 CH 1 Henny
|
38 | 685 |
2 |
06 FRA Dagault
|
110 | 654 |
3 |
07 GER 1 Bocks
|
59 | 641 |
4 |
05 CH 2 Lötscher
|
39 | 625 |
5 |
17 USA / CAN Gadd
|
42 | 543 |
6 |
09 GER 3 Herfurth
|
16 | 540 |
7 |
08 GER 2 Friedrich
|
44 | 536 |
8 |
14 SLO Rozic
|
44 | 536 |
9 |
13 RUM Coconea
|
32 | 527 |
10 |
02 AUT 2 Holzmüller
|
35 | 499 |
11 |
15 TUR Buhara
|
45 | 467 |
12 |
10 ITA Frötscher
|
62 | 467 |
13 |
12 POL Ziolkowski
|
32 | 465 |
14 |
01 AUT 1 Gassner
|
72 | 420 |
15 |
11 MEX Carsolo
|
22 | 404 |
16 |
03 BUL Vasilev
|
22 | 313 |
17 |
16 UK Shaw
|
31 | 244 |